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"Mutige Kraft für ein gutes Morgen"

"Mutige Kraft für ein gutes Morgen"
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Oliver Hildenbrand ist Landesvorsitzender der Grünen und als Parteilinker Vertreter einer immer seltener werdenden Spezies. Mit Kontext spricht er darüber, wie der Abwärtstrend seiner Partei gestoppt werden könnte und warum man die Grünen überhaupt noch braucht.

Herr Hildenbrand, die Grünen sind im Saarland aus dem Landtag geflogen. Bundesweit erlebt die Partei einen Abschwung in der Demoskopie, der noch vor wenigen Wochen unvorstellbar war. Wie ist der Abwärtstrend zu stoppen?

Natürlich bedauere ich es sehr, dass die Grünen den Wiedereinzug in den Landtag verpasst haben. Allerdings war das Saarland für uns schon immer ein schwieriges Pflaster. Die Aussagekraft einer Regionalwahl für den Bund ist sehr begrenzt, eines zeigt sich aber ganz deutlich: Die Ablösung der Großen Koalition geht nur mit starken Grünen. Dieses Ziel ist im Bund erreichbar geworden. Über ein Jahr waren die Umfragewerte ja geradezu eingefroren ...

... und dann kam Martin Schulz.

Das zeigt, wie volatil die ganze Situation ist. Noch zum Jahreswechsel hätte niemand einen Aufschwung der SPD für möglich gehalten. Der Ausgang der Bundestagswahl ist insgesamt offener und spannender geworden. Wir Grüne werden die nächsten sechs Monate dafür nutzen, um unsere Themen und unsere Stärken herauszuarbeiten. Als mutige Kraft für ein gutes Morgen stehen wir für Ökologie, Weltoffenheit und Gerechtigkeit. Wir wollen ein zweistelliges Ergebnis erzielen und endlich auch wieder im Bund Regierungsverantwortung übernehmen.

Um bei Schulz zu bleiben: Der erreicht mit seiner Art zu reden ein Publikum weit über die eigene Genossenschar hinaus. Kann das mit Formulierungen wie "die mutige Kraft für ein gutes Morgen" auch gehen?

Wir meinen es ernst mit dem Motto unseres Wahlprogramms: "Zukunft wird aus Mut gemacht". Da stecken nicht nur wichtige Botschaften drin, sondern es ist auch prall gefüllt mit guten Ideen. Ich sehe natürlich, wie Schulz agiert und was ihm in den vergangenen Wochen mit seiner Rhetorik gelungen ist. Für viele Menschen ist er offenbar eine Projektionsfläche für den Wunsch nach Veränderung. Aber er kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine SPD in den vergangenen Jahren an der Regierung beteiligt war. Und beim Zukunftsthema Ökologie hat er eine komplette Leerstelle. Wir müssen klarmachen, wie wichtig es ist, dass Grüne wieder mitregieren, nicht nur aus ökologischen Gründen. Während sich alle anderen Parteien auf autoritäre Positionen zubewegen, sind wir die freiheitliche Kraft, die für ein gutes Miteinander aller Menschen einsteht, ganz egal woher sie kommen, was sie glauben oder wen sie lieben.

Das klingt schon wieder so griffig ...

Und es stimmt. Wenn ich allein das Thema Flucht und Migration nehme: Da ist, auch bei unserem Koalitionspartner in Stuttgart, nur noch die Rede von Rückführungen und Abschiebungen. Die große Zukunftsaufgabe ist aber die Integration. Wir Grüne wollen erreichen, dass wieder viel mehr über Integration, über den gesellschaftlichen Zusammenhalt und über die Chancen geredet wird, die Zuwanderung unserer Gesellschaft eröffnet. Dass das ein Erfolgsrezept sein kann, zeigen die Wahlen in den Niederlanden mit dem großen Erfolg der Grünen. Die sind in Amsterdam sogar die stärkste Kraft geworden.

Ein schönes Thema, denn die Grünen in den Niederlanden verstehen sich ausdrücklich als Links-Grüne. Der baden-württembergische Landesverband kommt manchmal so daher, als wäre Oliver Hildenbrand der letzte Linke. Beispiel Vermögenssteuer.

Der Bundesparteitag in Münster hat sich klar für eine Vermögenssteuer für Superreiche ausgesprochen. So steht es nun auch im Entwurf unseres Bundestagswahlprogramms, und ich glaube nicht, dass daran noch einmal gerüttelt wird. Nur eine Politik, die Chancengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit miteinander verbindet, stärkt den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft. So schließen wir die Schere zwischen Arm und Reich, Bevorteilten und Benachteiligten, Frauen und Männern sowie Alt und Jung. Wir wollen in der Regierung dafür sorgen, dass es in unserem Land gerechter zugeht.

Egal mit wem? Ist die Strategie, sich alle Optionen offenzuhalten, wirklich noch die richtige?

Schauen wir uns doch mal die Ausgangslage an: Wir regieren in elf Bundesländern in den unterschiedlichsten Konstellationen mit – von Grün-Schwarz in Baden-Württemberg bis Rot-Rot-Grün in Thüringen. Wir können selbstbewusst zeigen, wo Grün in diesen Landesregierungen den Unterschied macht, und wir werden deutlich herausstellen, wie das in einer Bundesregierung aussehen kann. Natürlich sind die inhaltlichen Schnittmengen mit der SPD größer als mit der Union. Das zeigt ein Blick in die Parteiprogramme, aber das ist noch lange keine Festlegung auf eine Koalition.

Kürzlich ist Winfried Kretschmann wieder einmal auf Rot-Rot-Grün im Bund angesprochen worden. Seine Reaktion – "Um Gottes willen, davon kann ich nur abraten!" sprach Bände. Was ist der Verzicht auf eine Koalitionsaussage wert, wenn es am Ende ganz offensichtlich in seinen Augen doch nur auf Schwarz-Grün hinauslaufen soll?

Jede derzeit im Raum stehende Koalitionsoption wäre mit einer echten Zumutung verbunden: Bei Schwarz-Schwarz-Grün heißt sie Horst Seehofer und bei Rot-Rot-Grün heißt sie Sahra Wagenknecht. Koalitionsfragen stellen sich nach der Wahl und nicht davor. Wir Grüne müssen aus uns selbst heraus stark sein und deshalb unsere eigenen Inhalte in den Vordergrund stellen. Und dass Offenhalten wirklich Offenhalten bedeutet, muss sich nach der Wahl beweisen.

Klingt sibyllinisch.

Wir wissen doch inzwischen alle, dass die Regierungsbildung heute oft nicht ganz einfach ist. Aber wie sagt unser Ministerpräsident immer so schön: Irgendjemand muss das Land ja schließlich regieren. Das kann bedeuten, dass man sich am Ende mit Mitbewerbern zu einer Regierung zusammenraufen muss, die man sich nicht unbedingt gewünscht hat. Die Voraussetzung für starke Grüne in der nächsten Bundesregierung ist in jedem Fall ein starkes grünes Wahlergebnis. Wer damit wirbt, in den Ländern in unterschiedlichen Konstellationen erfolgreich zu sein, muss im Falle des Falles doch auch für den Bund die richtigen Konsequenzen ziehen.

Vor der letzten Bundestagswahl ging die Partei noch im Wahlkampf auf Distanz zu ihren eigenen Vorschlägen wie Veggie Day oder Steuern, weil es Gegenwind gab. Jetzt drohen ähnliche Effekte wegen Feinstaub und Fahrverbot. Wieso hat der grüne Markenkern gerade keine Konjunktur?

Das sehe ich nicht so. Wir stehen vor einer großen Richtungsentscheidung, vielleicht sogar vor einer historischen Wahl. Gerade in unruhigen Zeiten wollen die Menschen Orientierung. Wir brauchen eine andere Politik, die weiterdenkt und den Menschen wieder Hoffnung gibt. Wenn wir den Mut zu einem inhaltlichen Wahlkampf aufbringen, stehen unsere Chancen sehr ordentlich. Wenn wir über die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft reden, dann geht es um saubere Luft, um sauberes Wasser und darum, wie sich verlorene Zeit gerade in der Klima- und Umweltpolitik rächt. Wenn Eisberge und Gletscher geschmolzen sind, sind sie weg. Wir sind die erste Generation, die die dramatischen Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt. Und wir sind gleichzeitig die letzte Generation, die dieser dramatischen Entwicklung noch Einhalt gebieten kann. Viele Menschen wissen, dass wir deshalb jetzt etwas tun müssen und sie sind auch selbst dazu bereit.

Der Appell, in Stuttgart an Feinstaubtagen aufs Auto zu verzichten, ging eher ins Leere ...

Umfragen zeigen aber, dass eine klare Mehrheit der Bevölkerung unsere Maßnahmen für bessere Luft in der Landeshauptstadt mitträgt. Jetzt haben sich in Stuttgart in dieser Frage sogar die Grünen, die CDU und die SPD zusammengetan. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass die Politik ihre Gestaltungskraft unter Beweis stellt. Nichtstun ist keine Alternative. Feinstaub und Stickoxide schädigen die Gesundheit, insbesondere von Kindern. Tausende Menschen sind davon betroffen. Die Politik trägt für sie Verantwortung.

Wie stark werden die Rechtsnationalisten den Wahlkampf beeinflussen, also beispielsweise die bei der AfD, die bestreiten, dass es einen menschgemachten Klimawandel gibt?

Das ist gefährlicher Unsinn und weit weg von unserem Wissen um die ökologische Verantwortung für unseren Planeten. Natürlich werden es die Populisten auf einen harten, lauten und unverschämten Wahlkampf anlegen. Aber zuletzt haben uns die Niederlande und Österreich gezeigt, dass es andere Mehrheiten gibt. Der Rechtspopulismus stellt die grundlegenden Werte unseres Zusammenlebens in Frage. Selten war ein Eintreten für unsere Demokratie so wichtig wie heute. Es geht darum, die Verrohung der Gedanken, der Sprache und des Handelns abzuwehren. Gleichzeitig ist es mit dem Vermeiden von Rückschritten aber noch lange nicht getan. Uns geht es um viel mehr. Wir stehen für die ökologische Modernisierung, für eine offene Gesellschaft und für den sozialen Zusammenhalt. Dieses Portfolio haben nur wir.

Hand aufs Herz: Sie glauben wirklich, dass die Wähler und Wählerinnen nicht wissen wollen, mit wem die Grünen gedenken, ihre Ziele umzusetzen?

Wir gehen eigenständig in die Bundestagswahl. Wir wollen das Land ökologischer, weltoffener und gerechter machen – das ist unser Anspruch an eine grüne Regierungsbeteiligung. Wir wollen die Große Koalition ablösen. Und die Wahl im Saarland hat doch ganz deutlich zeigt, was passiert, wenn die Grünen nicht stark genug werden.

 

Oliver Hildenbrand (29) ist seit 2013 Landesvorsitzender der Grünen Baden-Württemberg. Mit 16 wurde er Parteimitglied und trat der Grünen Jugend bei. Dort war er zwischen zwischen 2007 und 2011 Landessprecher. Hildenbrand studierte Psychologie in Bamberg und Bonn.


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12 Kommentare verfügbar

  • Dr. Nils Jena
    am 04.04.2017
    Antworten
    Als ehemaliges Mitglied eines Kreisverbandes und eines Kreisvorstands, Vegetarier, überzeugter Fußgänge und Bahnfahrer, Datenschutzfetischist, Naturschützer und Atheist gehöre ich wohl zu der Gruppe, die man die Stammwähler der GRÜNEN nennt. Trotzdem werde ich bei der BTW17 nicht GRÜN wählen können.…
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