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Die schwarzen Minus-Männer

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Guido Wolf bläst der Wind eiskalt ins Gesicht. Ungezählte Leserbriefschreiber, viele Partei- und noch mehr Facebook-Freunde wenden sich ab, selbst in einem SWR-Kommentar wird er zum Rücktritt aufgefordert. Doch der gescheiterte CDU-Spitzenkandidat will nicht weichen.

"Jeder Mensch trifft täglich 20 000 Entscheidungen", posaunte Wolf am Wahlsonntag im Netz hinaus und forderte die Bürgerinnen und Bürger auf, an der Urne die eine richtige zu treffen. Hirnforscher halten die Zahl für eine sich per Google verbreitende Fehlinformation. Aber das ist eine andere Geschichte, die bestenfalls ein schlechtes Licht auf die PR-Gehilfen des 53-Jährigen wirft. Wichtiger ist, dass der Absender der Frohbotschaft selbst versagte, denn er selber hätte eine richtige Entscheidung treffen müssen. So etwa gegen halb sieben, als feststand, dass der CDU-Absturz um satte zwölf Prozent keine Fata Morgana der 18-Uhr-Prognosen war und die neue Baden-Württemberg-Partei mit über 30 Prozent die Grünen waren.

Stattdessen flüchteten sich die Schwarzen, unter tätiger Mithilfe von Landeschef Thomas Strobl, in einen seltsamen Jubel darüber, das Grün-Rot keine Mehrheit mehr besaß. Und einige Größen in der Ahnenreihe des schwarzen Erfolgs machten sich auf, an der Basis unverzüglich unerfüllbare Hoffnungen zu nähren: Es ließe sich ja womöglich doch die Villa Reitzenstein zurückerobern. Erwin Teufel und Günther Oettinger, die Hausherren von ehedem, aber auch der amtierende Landesvorsitzende stachelten Wolf an, auf SPD und FDP bauend doch noch nach dem Amt des Regierungschefs zu greifen. Inzwischen wollen sie es nicht gewesen sein. Oettinger rudert rückwärts mit dem unsinnigen Argument, seine Partei habe "die rechnerische Chance, den Regierungschef zu stellen, erst ausloten müssen". Dabei hätte er mit dem Weitblick des Brüsseler Kommissars mühelos erkennen können, dass die SPD nicht springen würde.

Der Vorgang steht für die desaströse Konfusion. Denn um die Sozialdemokraten von den Grünen loszueisen, dafür wäre Wolf gut genug gewesen und damit logischerweise zehnter Regierungschef – hätte die Operation funktioniert. Seit die SPD diese Option ausgeschlagen hat, werden die Forderungen nach Wolfs Abgang orchestriert. Seit Tagen gibt es immer neue Wortmeldungen von Jungunionisten und emeritierten Ministern, verteilt übers ganze Land. Und es gehört nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass die Liste noch länger wird.

Das Wolfsche Ich stößt sauer auf

Denn der frühere Tuttlinger Landrat, in dem viele, auch in der Parteispitze, das geeignete Gegengift zum Landesvater Kretschmann gesehen hatten, hat kurz vor, am und nach dem Wahltag vieles falsch gemacht. Ohne Not schloss er per SWR-Interview eine grün-schwarze Koalition aus und ließ erkennen, dass nicht Inhalte, Projekte, die Zukunft Baden-Württembergs im Zentrum seiner Überlegungen standen, sondern seine persönlichen Ambitionen. Nachdem er schon am Wahlabend seine Verantwortung nicht übernommen und Konsequenzen gezogen hatte, versemmelte Wolf seine zweite Chance am Montag danach, als der Landesvorstand der SPD einstimmig beschloss, für die Deutschland-Koalition nicht zur Verfügung zu stehen.

Seither sitzt Wolf – nachdem er eine Woche lang in immer neuen Volten bekannte, die Kritik an seiner Person sehr ernst zu nehmen – dem CDU-Verhandlungsteam vor. Mit seinem Tandempartner Thomas Strobl, der übrigens, nur zur Erinnerung, wenige Tage vor der Wahl – ebenfalls ohne Not – die Feindseligkeiten auf höchster Ebene eröffnet hat und ihm keinen Platz am Tisch der Sondierer zubilligen wollte. Vor allem aber ist der machtbewusste Fraktionschef mit dem Votum der neuen Abgeordneten im Rücken neben Generalsekretärin Katrin Schütz und Peter Hauk der einzige Landespolitiker, der den Grünen gegenübersitzt. Die eine muss allerdings bei öffentlichen Auftritten immer schweigen, und den anderen hat seine Fraktion 2014 vom Hof gejagt und gegen Wolf eingetauscht, angeblich weil er die Rolle des Oppositionsführers nur notdürftig ausfüllte.

Dass der einstige Hoffnungsträger, der immer so nah bei den Menschen sein wollte, (noch) nicht fällt, hat vor allem aber mit den Machtverhältnissen in der CDU zu tun. Schon vier Wochen vor der Landtagswahl, als Strobl nach einer Vorstandssitzung Wolf ans Knie trat mit der spitzen Bemerkung, er würde Winfried Kretschmann nie als Kanzlerinnen-Versteher titulieren, machten CDU-Abgeordnete aus Wolfs Lager klar, dass auch der Landesvorsitzende abdanken müsse, wenn der Spitzenkandidat den Hut zu nehmen habe. Immerhin sei Strobl als Generalsekretär unter Günther Oettinger und Stefan Mappus und als Parteichef seit 2011 in gleicher Weise verantwortlich für den Niedergang der einstmals unangefochtenen Südwest-Union. Das Problem: Ginge das Duo tatsächlich, würde das den Blick freigeben auf die gähnende Leere dahinter.

Aber ein Retter ist nicht in Sicht

Kein Name drängt sich auf, kein Retter ist in Sicht. Thorsten Frei, der frühere Donaueschinger OB und heutige Bundestagsabgeordnete, verantwortete einen erfolglosen Wahlkampf und gilt ohnehin seit Längerem eher als Leichtgewicht. Andere, wie der frühere Kunststaatssekretär Dietrich Birk, sind in die Wirtschaft abgewandert. In der Landesgruppe der baden-württembergischen Abgeordneten im Bundestag, die sich – nur so ganz nebenbei – einen frauenlosen Vorstand leisten, sitzen mehr Hinterbänkler als der Plenarsaal hintere Bänke hat. Als ministrabel bezeichnet werden der Innenpolitiker und NSU-Experte Clemens Binninger oder der Finanzer Norbert Barthle, früher Pressesprecher des noch von Gerhard Mayer-Vorfelder geführten Kultusministeriums. Beiden wird aber nicht zugetraut, die Partei in fünf Jahren in die Nähe früherer Stärke zurück zu führen. Fast wie ein Wachtraum hört sich an, wenn Romen Link, der für die JU im Landesvorstand sitzt, "für den Fall, dass wir uns für eine Koalition mit den Grünen entscheiden, eine starke Persönlichkeit" herbeisehnt, "ein Gesicht, das für unsere Partei in Baden-Württemberg steht".

Strobl traut sich zu, diese Rolle zu übernehmen. Sich selbst sieht er in der Rolle desjenigen, der die Kohlen für seinen Landesverband aus dem Feuer holen muss. Schon nach dem unfreiwilligen Abgang von Oettinger und der Abwahl von Mappus spielte er ganz vorne mit. Mit Brachialgewalt setzte sich der MdB aus Heilbronn gegen Umweltministerin Tanja Gönner durch. Selbige wollte, nicht weniger brachial, zugleich Partei- und Fraktionschefin werden, mit dem Segen der Kanzlerin, aber ohne Chancen in einem traditionell konservativen Landesverband, in dem sieben Jahre zuvor schon Annette Schavan gescheitert war.

Und Strobl redet sich die Lage schön

Strobl, Wolfgang Schäubles Schwiegersohn, ist aber geprägt vom Berliner Politikbetrieb. Und er verlor schon nicht von ungefähr den Mitgliederentscheid gegen Guido Wolf. Weil er in seiner Zeit als Generalsekretär mal die einen und mal die anderen Parteifreunde verprellte. Weil er als ideologisch unzuverlässig gilt, am rechten Rand ebenso auftauchte wie im liberalen Flügel. Weil er keine Mittel und Wege fand, 2011 den Machtverlust zu verhindern und jetzt die katastrophale Wahlpleite des 13. März 2016. "Die größten Fehler beging die CDU vor etwa zehn Jahren", meinte dieser Tage die FAZ: "Die Partei versäumte es, sich systematisch neue Wählerschichten zu erschließen." 

Dafür zuständig gewesen wäre der Generalsekretär und spätere Parteichef auf Landesebene. Überproportional gewählt wurde die CDU vor zweieinhalb Wochen aber von der "Generation 60 plus" und von Menschen mit formal niedriger Bildung. Dazu redet sich Strobl auch noch die Lage schön, wenn er "die gewaltige Substanz" seiner Partei lobt. Er sei "ganz sicher, dass wir uns schon bald wieder zu einer schlagkräftigen Formation entwickeln können, das haben wir immer geschafft."

Diesmal aber eben nicht. Die Frauen-Union hat einen salomonischen Weg zwischen den beiden Wahlverlierern vorgeschlagen und reklamiert das höchste zu besetzende Amt in der Anfang Mai beginnenden 16. Legislaturperiode für eine Frau. Gegebenenfalls soll also eine CDU-Frau stellvertretende Ministerpräsidentin werden oder Landtagsvizepräsidentin. Sich aufdrängende personelle Alternativen sind allerdings ebenfalls nicht in Sicht. Der Name von Dorothea Störr-Ritter fällt. Die frühere Landesgeschäftsführerin, Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Selbständigen wurde 2008 (!) erste Landrätin überhaupt in Baden-Württemberg (im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald), ist aber weitgehend unbekannt und ohne jede Machtbasis. Müsste die CDU doch in die Opposition, fiele sie ohnehin aus: Weil sie nicht im Landtag sitzt, könnte sie nicht dessen Vizepräsidentin werden. Aber der Frauenplan ist ohnehin ohne jede Chancen. Dafür werden die schwarzen Minus-Männer schon sorgen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Mari Deutsch
    am 04.04.2016
    Antworten
    Würden Wahlen etwas verändern wären sie längst verboten.
    Kurt Tucholsky
    Wenn ich heute die politische Elite sieht vergeht mir die Lust mich politisch zu engagieren. Ich kann keinen Politiker nennen dem ich vertrauen würde. Das ist gerade in unserer Krisenzeit das Drama. Deshalb gehe ich auch nicht…
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