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"Uns hat schon etwas der Schlag getroffen"

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Im NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags offenbaren sich ungeahnte Versäumnisse bei der Aufklärung des Todes von Florian Heilig im September 2013. Jetzt hat die Familie im Auto des rechten Aussteigers unter anderem eine Pistole und ein Machete gefunden.

Niemand interessierte sich für die Hinterlassenschaften des 21-Jährigen, der - nur wenige Stunden vor seiner Vernehmung zur Ermordung von Michèle Kiesewetter - bei lebendigem Leib in seinem Peugeot verbrannte. "Sprachlos", sagt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD), hätten die anderen Mitglieder reagiert, als er ihnen in nichtöffentlicher Sitzung die Gegenstände präsentierte, "uns hat da schon etwas der Schlag getroffen." Der Sozialdemokrat hebt einen Schlüsselbund hoch, von dem die Polizei meinte, er sei im Feuer geschmolzen, einen Handydeckel, Pillenplättchen, ein Handy, ein Feuerzeug, feinsäuberlich nummeriert.

Insgesamt zwölf Fundstücke hat Heiligs Familie übergeben, allesamt aus dem Wagen, den die Polizei nur zwei Tage nach dem Tod des Sohnes und Bruders verschrotten lassen wollten. Die Hinterbliebenen hatten das verhindert. Seither steht er bei Freunden in der Garage. Kein Ermittler kam auf die Idee einer weiteren Durchsuchung. Nach ihrer Vernehmungen im Ausschuss Anfang März fassten Vater, Mutter und Schwester Vertrauen in die Abgeordneten. In Eigenriege und der Anwesenheit einer Vertrauensperson nahmen sie sich das Fahrzeug am vergangenen Wochenende noch einmal vor und förderten so viel Erstaunliches zu Tage. Drexler vermeidet jene Pauschalkritik an der Polizei, was ihm sichtlich nicht leicht fällt. Ermittlungsarbeit habe er sich jedenfalls immer anders vorgestellt.

In den Blick geraten auch die Mitglieder jener von Innenminister Reinhold Gall (SPD) eingesetzten Ermittlungsgruppe Umfeld, die Spuren des "Nationalsozialisten Untergrund" in Baden-Württemberg ausleuchten sollten. Denn sie unternahmen nach dem mysteriösen Tod ihres Zeugen keinerlei Anstrengungen, um an mögliche Hinterlassenschaften zu kommen. Noch abgängig ist ein Collegeblock. Außerdem wird die Familie dem Ausschuss einen Laptop, ein Handy, eine Camcorder und einen Computer übergeben. Zumindest Laptop und Handy hatten die die Todesursache ermittelnden Beamten nach eigenen Angaben in der Hand, sich aber nicht weiter damit befasst. Jetzt ist ein Spezialist in Lüdenscheid damit beauftragt, die Gegenstände zu untersuchen. Auch das Auto wird noch einmal unter die Lupe genommen, um herauszufinden, ob es einen Fremdzündmechanismus gab.

Außerdem ist der ganze Zeitplan über den Haufen geworfen. Einstimmig haben alle Fraktionen beschlossen, abermals ein Dutzend Zeugen zu dem Fall zu hören, der eigentlich nur ein Randaspekt bei der Aufklärung möglicher Versäumnisse rund um den Kiesewetter-Mord sein sollte. "Die Dinge können aber so nicht stehen bleiben", weiß auch der Grünen-Obmann im Ausschuss Jürgen Filius. Ein Polizist wird mit besonderer Spannung erwartet: Der Vorgesetzte jenes Kriminalhauptkriminalhauptkommissars, der über Jahre zuständig war für die rechte Szene in Heilbronn und in der vergangenen Woche ihre Existenz bestritt.

Rechte Szene? Der zuständige Staatsschützer weiß von nichts

Klaus Häberle trug im Zeugenstand eine Gelassenheit zur Schau, die bis an die Grenze zur Impertinenz reicht. Er hat wenig Ahnung oder tut so. Über die rechte Szene in Heilbronn wusste er vor allem, dass es sie nicht gibt. "Ich brech nieder", twitterte eine in dem Protokoll, das die Anstifter zeitnah im Netz veröffentlichen. Äußerlich ganz und gar ungerührt ließ der Beamte die immer schärfer werdenden Fragen der Abgeordneten über sich ergehen. Er kennt die "Standarte Württemberg" nicht, keine "Freien Nationalisten Kraichgau", auch nicht die Skinheads von "Furchtlos und Treu". Kameradschaften gebe es in Heilbronn gar nicht, sagt er. Einmal stöhnt Heiligs Schwester auf, der Vater schüttelt nur den Kopf, als Häberle seinen Sohn "nach Aktenlage" als "unterdurchschnittlich intelligenten Mitläufer der Szene" beschreibt. Drexler insistiert. Keine rechte Szene? Häberle präzisiert: Es gebe so 20 oder 30 Personen mit verfassungsfeindlichen Gedanken, "aber die kennen sich nicht". Verbindungen zur Rocker-, Waffen- oder Drogenszene? Keine Ahnung. Fast eine Dreiviertelstunde dauert das fruchtlose Pingpong. Was sind das für Leute, die sich jeden Tag an einer bestimmten Ecke im Heilbronner Stadtgarten einfinden? Häberles Antwort: "Trinker, Linke, vielleicht Rechte."

Sicherlich hatte Eva Högl, die SPD-Abgeordnete aus dem NSU-Ausschuss des Bundestags, solch einen Beamtentyp vor Augen, als sie die Aufklärungsversuche rund um den Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn massiv rügte. Sie geht von einem "breiten Netzwerk von Unterstützern und Mitwissern" aus - aber da sei der Generalbundesanwalt nie rangegangen. Die Tat auf der Theresienwiese sei ohne logistische Hilfe vor Ort nicht vorstellbar. Baden-Württemberg besitze jedenfalls "eine bestens vernetzte rechtsextreme Szene".

Selbst der Bericht der EG Umfeld zu den Bezügen der Terrorgruppe NSU nach Baden-Württemberg ist weiter als der Zeuge aus dem Unterland. Beschrieben werden rechtsextreme Partys in "einer Art Hobbykeller, der einen privaten Treffpunkt darstellte und im Gaststättenverzeichnis der Stadt Heilbronn nicht verzeichnet war", und etliche andere in die Region weisende Spuren. Erwähnt wird der Anführer des Kameradschaftsnetzwerkes "Thüringer Heimatschutz (THS)", der auch Kontaktperson von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gewesen sei. Er könne schon einschätzen, wer in welche Richtung tendiert, wehrt sich Häberle, als Drexler fast der Kragen platzt. Aber eine rechte Szene "in der Art, die gibt es nicht". Spätestens da ist niemand mehr im Saal ohne Verständnis für Heiligs Familie, die dessen Hinterlassenschaften nicht in den Händen der Polizei wissen will. Es gehe nicht um das Vertrauen des Ausschusses in die Behörden, wird Drexler später sagen, "verständlicherweise" angesichts so vieler merkwürdiger Einzelheiten.

Umgang mit Obduktionsergebnissen gibt Rätsel auf

Zwar wurde wegen Heiligs rechtsextremem Hintergrund sogar eine Ermittlungsgruppe gebildet. Die aber erlegte sich größte Zurückhaltung auf: Der Polizist, der den Eltern die Todesnachricht überbringt, stellt aus Pietätsgründen keine Fragen. Ein Sachverständiger legt den Laptop und den merkwürdigerweise bloß angekokelten Collegeblock, in dem vielleicht Hinweise zu finden wären, zur Seite - schließlich soll er ja nur die Brandursache herausfinden. Ein anderer Zeuge sagt aus, wenn LKA oder Staatsschutz mehr dazu hätten wissen wollen, ob sich der junge Mann durch Mitglieder der Heilbronner rechten Szene unter Druck gesetzt oder vielleicht sogar in Lebensgefahr sah, dann hätten die das selber herausfinden müssen. "Niemand war zuständig", wundert sich der SPD-Obmann Nik Sakellariou.

Nicht weniger Rätsel gibt der Umgang mit den Obduktionsergebnissen auf. Der renommierte Rechtsmediziner Heinz-Dieter Wehner berichtete ausführlich, welche Stoffe er in welchen Mengen in der Leiche fand. Für ihn ist völlig klar, man hätte weitersuchen müssen, "ob es ein Suizid oder ein Tötungsdelikt war". Jedoch verfügt er über keinen direkten Kontakt zu den direkt Zuständigen. Und als er vier Wochen später seinen schriftlichen Bericht vorlegt, ist die Akte längst geschlossen - wegen fehlenden Anfangsverdachts. Wenn das Selbstmord war, so Wehner jetzt im Ausschuss, war die Methode "was für den Fachmann". Woher die Medikamente in tödlicher Dosis? Wieso, fragt sich der Mediziner, solle Heilig einen "doppelten Selbstmord" begangen haben, vergiften und verbrennen? Als der CDU-Abgeordnete Matthias Pröfrock eine Frage zum Suizid stellt, fällt ihm Wehner ins Wort: "Wenn es einer war ..."

Aktive Beamte liefern Stoff für Verschwörungstheoretiker

Immerwährend hängt über der ganzen Szenerie im Plenarsaal Rainer Nübels Zustandsbeschreibung der Gesellschaft, die es aushalten würde, käme die Wahrheit zu Heilbronn aus Licht. Wenn konkret belegt würde, wem und wie lange im Südwesten der NSU, die Neoschutzstaffel NSS bekannt waren, wer in den vergangenen 25 oder 30 Jahren von welchen Machenschaften wusste. Günther Stengel, jener frühzeitig pensionierte Ermittler beim Landesamt für Verfassungsschutz, der schon 2003 von V-Mann "Erbse" über NSU und Mundlos erfahren haben will, berichtet von einer Aktion 1990, als in einem Waldgebiet zwischen Heilbronn und Eppingen "die Crème de la Crème der politischen europäischen Rechten" versammelt gewesen sein soll. Ihm selber war die Rolle zugefallen, einen fingierten Hinweis bei der Polizei zu geben, und er sollte nach ebenfalls fingierten Schüssen Alarm schlagen. Was er tatsächlich getan habe, alle seien festgenommen und nach Heilbronn gebracht worden, darunter Belgier und Niederländer.

Zum Bild von den rechts blinden Geheimdiensten passt diese Aktion gar nicht, ebenso wenig aber zum landläufigen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Ein Verfassungsschützer, der den Anlass für einen Einsatz selber produziert? Weitere Nachforschungen sind von Untersuchungsauftrag des Ausschusses gar nicht abgedeckt, könnten vermutlich aber so manche Überraschung ans Tageslicht bringen.

Auch noch aktive Beamte sorgen dafür, dass Verschwörungstheoretikern der Stoff nicht ausgeht. Aktuell ausgerechnet solche aus der eigentlich aufgelösten EG Umfeld, die Akten doch noch einmal bewertet haben und - was Wunder - plötzlich jenem "Matze" einen Namen zuordnen können, der laut Heilig in den Augen seinen Sohnes eigentlich in München zusammen mit Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzen müsste. Eine Handvoll Zeugenauftritte im Ausschuss und ein Beweisantrag der CDU sorgten für die Identifizierung des kleinen, blonden Mannes mit Hakenkreuz-Tattoo, der demnächst Auskunft geben soll, was er seit wann über NSU und NSS weiß. Stengel bleibt bei seinen Erkenntnissen seit 2003 und macht sich, wie schon vor dem Bundestagsausschuss, schwere Vorwürfe, nicht aktiv geworden zu sein. Aussage steht gegen Aussage. Denn "Erbse", eigens aus der Haft in Hannover nach Stuttgart transportiert, nutzt die Gelegenheit, um über den Mossad zu reden, über seine Verfolgung durch deutsche Behörden, über den bis heute ungeklärten Mord an Olof Palme - aber nicht über den NSU, von dem er gar nichts wisse.

Der Ausschuss wird jetzt die übergebenen Gegenstände auswerten lassen. Eine Gratwanderung, denn üblicherweise wurden im Zuge parlamentarischer Untersuchungen zwar Gutachten in Auftrag gegeben, nicht aber kriminaltechnische Arbeiten. Damit ist es jetzt vorbei. Auch "Matze" wird vernommen, weil der Heilig in die rechte Szene eingeführt und mit NSU und NSS bekannt gemacht haben soll. Die Grenze zwischen parlamentarischer Aufklärung und polizeilicher Ermittlung ist gefallen. Und in dem Sicherheitsraum, in dem bisher nur Akten unter Verschluss sind, lagern jetzt auch Asservate.


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21 Kommentare verfügbar

  • By-the-way
    am 24.03.2015
    Antworten
    @ Alfred 14.58 Uhr

    Sorry, aber bei diesem Thema ist mir der Sinn für Ironie und Sarkasmus vollkommen abhanden gekommen...

    Es ist erschreckend und bedrohlich, was hier in diesem "Staat" unter dem Deckmäntelchen vorgeblicher "Demokratie" , verbunden mit einem angeblichen "Rechtsstaat", an…
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