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Brezeln statt Biss

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Das Stadtmagazin "Lift" lässt sich von der "Stuttgarter Zeitung" kaufen. Solche Übernahmen verheißen meistens nichts Gutes – allen Sonntagsreden zum Trotz.

Es war einmal ein Stadtmagazin, das ziemlich böse Sachen schrieb. Über die "SPD am Ende" (1997), die "Grauen Grünen" (1998) und den "Leserfrust 21" (2010), wobei Letzteres zwei Themen vereinte: den Bahnhof und die Berichte darüber. Also jene Lobpreisungen eines Projekts, dem sich die "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und die "Stuttgarter Nachrichten" (StN) verbunden fühlten. Da war "Lift" ganz entschieden und zitierte sogar Heinrich Steinfest: "offenkundig willfährige Journaille".

Damals hatten die Chefredakteure die Idee, bisweilen widerborstig und aufmüpfig zu sein, verfassten selbst grimmige Artikel, ein wenig in der Tradition der Stadtmagazine, die eine Alternative zur Lokalpresse sein wollten. Ein Gegenentwurf zu einer Grundstimmung, die sich in Oberbürgermeisters Schusters Neigung zu Let's-putz-Aktionen widerspiegelte. Aber dann wechselte der eine Chefredakteur (Arne Braun) zu den Grünen und ist stellvertretender Regierungssprecher geworden, der andere (Ingmar Volkmann) zur "Stuttgarter Zeitung" und zuständig für Jugendliches. Seitdem ist meist Event und gute Laune. Adieu Winterblässe, Sommerstyle fürs Heim, der große Brunchtest. Gepflegter Eskapismus eben.

Schon immer da war Gerald Domdey (49), der das Magazin 1991 gegründet hat. Er ist gelernter Verlagskaufmann, war 1988 beim linken "Stuttgarter Extrablatt" zugange und erinnert sich heute daran, wie es damals war. Wild und gefährlich. Wenn er an damals denkt, wird ihm ein bisschen wehmütig ums Herz, erscheint ihm weniger Brezeltest und mehr Biss vielleicht notwendig. Wenn schon der grüne Bürgermeister Werner Wölfle (62) zum 20. Geburtstag schreibt, "Lift" könne "gerne wieder bissiger" werden, das brauche die Stuttgarter Presselandschaft. Aber die Bäcker sind halt potenzielle Anzeigenkunden. Und Mitgratulant Wolfgang Schuster (66) bleibt treuer Leser, weil "Lift" zu Stuttgart gehöre wie der "Paternoster zum Rathaus".

Zurück ins Jahr 1991: In Stuttgart steht das quer gebürstete "Live" zum Verkauf. Der Hamburger Jahreszeitenverlag ("Für Sie" und "Petra") schlägt zu, verleibt das Heft seiner Spaß-Krake "Prinz" ein, die jungen Menschen in 13 Metropolregionen Orientierung bieten will. Bei Mode, Musik, Kino, Gastro, Reise, Sport, Clubs und Paaarty. Die Stuttgarter Linke ist pressemäßig heimatlos und damit bereit für etwas Neues – für "Lift", in dem ein Teil der "Live"-Truppe weiterwerkelt und das auch optisch anfangs stark an das Vorgängerblatt erinnert, inklusive Peter Pucks Kultcomic "Rudi".

Mit ins Boot nimmt Domdey den Konzertveranstalter Matthias Graupner (64), der in Mannheim seit 1986 vorführt, wie alternativ geht – mit seinem Magazin "Meier". Graupner ist eine große Nummer im Rhein-Neckar-Delta, an der Seite seine Partnerin und Mitgesellschafterin Regina ("Ginger") Portele, die Joe Cocker bereits in den 1980er-Jahren nach Mannem lockte. Graupner und Portele halten zusammen 51 Prozent an der PV Projekt Verlag GmbH, die "Lift" herausgibt. Domdey ist mit 39 Prozent beteiligt, Marketingchefin Annette Taube mit fünf.

StZ-Geschäftsführer rühmt das schöne Personal

Heute muss man sagen: Sie waren beteiligt. Wie berichtet, übernimmt die "Stuttgarter Zeitung" den Laden, rückwirkend zum 1. Januar 2016 und voller Freude über die "ideale Ergänzung" ihres Portfolios. Glücklich zeigt sie sich auch darüber, dass Domdey weiterhin als Geschäftsführer tätig sein wird, der mit "hoher Selbstständigkeit" am Markt agieren könne. Das hat StZ-Geschäftsführer Herbert Dachs auch nochmals bekräftigt, als er bei einem kurzen Redaktionsbesuch am Kopf des Tisches Platz genommen und die Attraktivität des weiblichen Personals gelobt hat. Über den Kaufpreis sagen er und Domdey nichts.

Ob er daran glaubt, der angestellte Patron, an die Unabhängigkeit? Würde er es tun, wäre er naiv, aber das ist er nicht, weil er das Geschäft seit 25 Jahren kennt und damit auch die Sonntagsreden, die oft nur einen Sonntag halten. Er habe nicht die Illusion, im Paradies angekommen zu sein, sagt Domdey.

Aber vorerst bleibe eigentlich alles beim Alten, versichert der Exherausgeber, neu seien nur die Besitzer. Und so wird es auch der hart arbeitenden 15-köpfigen "Lift"-Belegschaft mitgeteilt, kurz vor der offiziellen Presseverlautbarung der StZ am 4. Mai. Um "Irritationen zu vermeiden", beruhigt die Geschäftsleitung am Falbenhennenplatz die Freien per Mail, wolle man über den Wechsel der Eigentümer informieren. Der Schritt sei aus "privaten und perspektivischen" Gründen sinnvoll geworden, alle könnten bleiben, alle Verträge gälten weiter. Coole Geschichte.

Das Private, erläutert Domdey, beziehe sich auf Matthias Graupner, den Hauptgesellschafter. Er wollte verkaufen, altershalber, kein Bock mehr auf Business, und deshalb hätten sie seit einem halben Jahr nach einem Interessenten gesucht. Die Perspektive bot das Pressehaus, das vor allem für die Sonderhefte ("Stuttgart geht aus", "Stuttgart fliegt aus", "Stuttgart für Kinder") und die Events ("Lange Nacht der Museen") Reklame machen könne. Hier wird noch richtig Geld verdient. Beides wiederum, das Private und das Perspektivische, gelte auch für ihn. Am 21. Mai wird Domdey 50, da ist man nicht mehr der Jüngste und die Zukunft ungewiss.

Da hat er recht. Im Grunde haben sich die (gedruckten) Stadtmagazine überlebt. Publizistisch wie ökonomisch. Am Ende völlig entpolitisiert und nur noch als Gebrauchsanleitung für Zerstreuungsangebote einer ausgehwütigen Generation zu nutzen, sind sie weitgehend überflüssig geworden. Die Zielgruppe der 25- bis 35-Jährigen sucht sich die "chilligsten Bars" auf dem Smartphone, das kritische Publikum anderes woanders, was bleibt, sind die jungen Senioren, die vom Papier nicht lassen können und wissen wollen, was die Junioren so treiben. In Stuttgart und drumrum gibt es davon immerhin noch mindestens 18 000. So hoch ist die Auflage von "Lift" und entsprechend die Zuversicht. Der Jugendkult werde durch die "Altersrevolution" abgelöst, heißt es in der Mai-Nummer, das Leben fange "erst mit 77" an. Da ist also noch Luft nach oben.

Tatsächlich schreibt der kleine Verlag noch schwarze Zahlen. Laut Bundesanzeiger weist er für das Geschäftsjahr 2014 einen Jahresüberschuss von rund 100 000 Euro aus. Aber wie lange noch, trotz der Langlebigkeit der Kundschaft? Domdey weiß, dass die Geschichte der Stadtmagazine auch eine Geschichte von Übernahmen ist. Ob "Zitty" und "Tip" in Berlin, ob "Live" in Stuttgart – alle sind sie bei großen Verlagen gelandet und dann entweder dichtgemacht oder ins Internet geschoben worden. Der Papier-"Prinz" ist seit 2012 tot.

Wie es ganz konkret geht, kann ihm sein Partner Graupner erzählen. Er hat seinen "Meier" (Höchstauflage 30 000), der in Mannheim einmal Pflichtlektüre war, 2006 an die "Rheinpfalz" verkauft, die ihrerseits zur Medien-Union Ludwigshafen gehört. Selbige wiederum ist Hauptgesellschafterin der Südwestdeutschen Medienholding SWMH, unter deren Dach die "Stuttgarter Zeitung" erscheint. Ende 2012 beschloss die Medien-Union, den "Meier" einzustellen – wegen "schlechter Geschäftszahlen".


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2 Kommentare verfügbar

  • Yanosha
    am 18.05.2016
    Antworten
    Du meine Güte! Das ist die Lift-Redaktion? Jetzt wird mir alles klar.

    Habe mein Lift-Abo vor wenigen Jahren gekündigt (nach ca. 20 Jahren), weil Lift immer belangloser wurde.
    So gesehen geht auch diese Publikation den konsequenten Weg zur SWMH.

    Viel Spaß noch im Bällebad! (Facepalm)
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