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Invasion der Worte

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Der Modeschöpfer Tom Ford stellt sieben Jahre nach "A Single Man" seinen zweiten Film vor. Und unser Filmkritiker fragt sich: Sprengt Ford sich selber aus seiner glamourösen Modewelt heraus oder braucht er nur ein Ventil für den Ekel, der sich in ihm anstaut?

Schwabbelndes Frauenfleisch vor rotem Grund, bedrängend nah, leinwandfüllend. Das wallt und wellt und wogt, so als wollten sich die Körpermassen gleich in den Kinosaal ergießen. Wie alt gewordene und aus dem Leim gegangene Cheerleader sehen diese Fähnchen schwenkenden Tänzerinnen aus. Nackt, fett und in Zeitlupe werden sie zur Ansicht freigegeben wie ein Vergänglichkeit signalisierendes Gegenbild zu einem Hollywood, das in seinem Glamour erstarrt ist. Aber in dieser verpanzerten Welt des schönen Scheins können solche Bilder nicht mehr schockieren, zumal sie nun als Kunst deklariert werden und somit sterilisiert und entschärft sind. Nein, hier werden keine Grenzen übertreten, es bleibt quasi alles im Rahmen. 

Cool und ungerührt steht bei dieser Vernissage in L.A. eine gutaussehende – und gekleidete – Clique um jene Leinwände und Podeste herum, auf denen die dicken Frauen ausgestellt sind. Sektgenippe, Small-Talk-Schnipsel. Freimütig werden Beziehungsratschläge ("Einen schwulen Ehemann zu haben, ist gar nicht so übel") erteilt oder Kosmetiktipps ("Die Muschi mit Wachsspray...") gegeben.

Nur die Galeristin Susan (Amy Adams), eine Frau um die vierzig, wirkt ein wenig desolat, so als spüre sie die Entfernung zum richtigen Leben. Sie fährt zurück in ihre moderne Villa, steht allein in einem fast leeren Raum, schaut durch eine riesige Fensterfront auf die Lichter der Stadt. "Genieß doch unsere Welt", wurde ihr bei der Ausstellung gesagt, "sie ist weniger schmerzhaft als die Realität!"

Der Modeschöpfer Tom Ford, lange Jahre Designer für Gucci und danach Chef seiner eigenen Luxusmarke, hat 2009 den Film "A Single Man" gedreht, in dem Colin Firth als Universitätsprofessor nach dem Tod seines Freundes beschließt, sich das Leben zu nehmen. Eine elegante Studie zu Schmerz und Melancholie, und wenn Kritiker an ihr doch etwas auszusetzen hatten, dann war es gerade diese Ästhetisierung, banal gesagt also: dass das Leiden am Leben sich immer perfekt gestylt präsentiert. Später hat Tom Ford gesagt, er schätze schöne Dinge, wisse aber, dass sie im Grunde nicht wichtig wären. Und auch dies: "Es gibt Momente, in denen mich diese Hochglanzwelt einfach nur anekelt."

Raus aus der Schalheit der Schönheit

Fords neuer Film "Nocturnal Animals" sieht nun tatsächlich so aus wie eine Selbsttherapie. Raus aus der Schalheit der Schönheit, weg vom kalten Glanz der Oberflächen, mit Verve gegen die Vereisung der Gefühle. Denn Susans Welt wird nun bedroht von einer Paketbombe, deren Sprengstoff aus Buchstaben besteht. Ihr Ex-Mann Edward, ein erfolgloser Schriftsteller, den sie vor fast zwanzig Jahren verließ, hat ihr ein Manuskript geschickt. Es heißt "Nocturnal Animals", es ist ihr gewidmet, und als sie es auspackt, schneidet sie sich sofort am scharfkantigen Papier. Blut! Und es wird nicht bei diesem einen Tropfen bleiben. Als Susan zu lesen beginnt, findet sie sich nämlich versetzt in eine düster-gewalttätige Geschichte, die der Regisseur als Neo-Noir-Thriller inszeniert und sozusagen mitten in ihrer Villa explodieren lässt.

Ein Mann mittleren Alters fährt mit Frau und Tochter durch die texanische Nacht. Er heißt Tony (Jake Gyllenhaal), aber die Leserin Susan stellt sich ihn sofort vor wie den Autor. Nein, sie hat diese Szenen, in denen Tony nun von einem mit drei Prolls besetzten Wagen abgedrängt wird, nicht mit Edward erlebt, aber sie spürt, dass Tony eine Art Alter Ego ihres Ex-Mannes ist und in irgendeiner Weise mit ihr zu tun hat. In ihrem jetzigen Leben ist ihr der smarte Business-Ehemann (Armie Hammer) fremd geworden, er muss auch gleich wieder weg, interessiert sich sowieso nicht für ihre Galerie und wohl auch nicht mehr für sie. In ihrem fiebrig verschlungenen Manuskript aber tobt das Leben, wenn auch auf fiese Weise. "Ihr haltet euch für was Besseres!", konstatiert Ray (Aaron Taylor-Johnson), der sadistische Anführer des White-Trash-Trios, dem Tony nichts entgegenzusetzen hat. Unterwerfungsgesten stacheln diesen lächelnden Kerl nur weiter an.

Ihr Edward sei ein schwacher Mann, sagt Susans hochtoupierte und perlenbehangene Oberklassen-Mutter (Laura Linney) in einem dritten Erzählstrang, der auf das Scheitern der jungen Eheleute zurückblickt. Tatsächlich reicht die Liebe allein für Susan nicht aus. Und bevor sie Edward verlässt, tut sie ihm noch Schlimmeres an. Tony muss inzwischen - wir befinden uns wieder im Roman - ohnmächtig zusehen, wie seine Frau und seine Tochter in die Wüste verschleppt werden. Oder hätte er doch, auch wenn er keine Chance hatte, aufbegehren und sein Versteck verlassen sollen? Dieses zwischen Hinterwäldler-Horror, Highway-Killer-Thriller und Sam-Peckinpah-Machtspielen ("Wer Gewalt sät") changierende Genre-Stück entwickelt nicht nur für die Leserin Susan, sondern auch für den Zuschauer eine beängstigende Intensität.

Tonys Geschichte ist manchmal visuell mit Susans Villa verkoppelt, etwa durch ein rotes Sofa. Bloß dass dieses im einen Erzählstrang mit Susan und im anderen mit Leichen belegt ist. Der Thrillerteil von "Nocturnal Animals" schreit nun geradezu nach Rache. Und der wortkarg-kantige Sheriff (Michael Shannon), dessen aggressiver Blick Steine zum Schmelzen bringen könnte, wird Tony beim Rotsehen helfen. Fiktion, hat wiederum Edward seiner jungen Susan gesagt, speise sich immer aus eigener Erfahrung, und sie sei auch dazu da, Dinge am Leben zu erhalten. Beim Lesen wird es Susan jetzt zunehmend unbehaglich zumute, aber sie ist längst überwältigt von dieser Invasion der Worte, ist gefangen in einer Story, aus der sie nicht herauskommt. 

Eine Rachestory, wie gesagt. Und das Motiv schwappt auch hinein in Susans Welt, findet sich in Kunstexponaten wie einem durchpfeilten Tier oder einem mit "Revenge" beschrifteten Bild. So dass es also nicht nur um die Frage geht, was weiter mit Tony passiert, sondern auch um die, was mit seinem Erfinder Edward geschehen ist. Kann es sein, dass da ein sensibler Mann von seiner Verhärtung erzählt? Davon, dass er eine Lektion gelernt hat und nun bereit ist, seiner Leserin eine solche zu erteilen? Und wie wird es mit Tom Ford weitergehen? Sprengt er sich selber aus seiner glamourösen Modewelt heraus oder braucht er nur mal alle sieben Jahre ein Ventil für den Ekel, der sich in ihm anstaut?

 

Info:

Tom Fords "Nocturnal Animals" kommt am Donnerstag, 22. Dezember in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.

 

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