Das Plakat am Konstanzer Stadttheater war unmissverständlich. Die türkische Flagge oben, zwei Schuhe, die unter einem Leichentuch hervorschauen, unten, und dazwischen ein Zitat von Ministerpräsident Erdogan: "In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen." Die Schuhe gehören dem armenischen Journalisten Hrant Dink, der 2007 auf offener Straße ermordet wurde. Von einem 16-Jährigen, der beim Weglaufen gerufen hat: "Ich habe einen Ungläubigen erschossen." Dink war einer der schärfsten Kritiker der Regierung. Auch wegen des Völkermords.
Das Plakat hing bis drei Tage vor der Premiere des Stücks "Das Märchen vom letzten Gedanken" nach dem Roman von Edgar Hilsenrath. Es behandelt den Genozid an den Armeniern (1915–1917). Danach war das Plakat weg. Abgehängt vom Intendanten Christoph Nix.
Der türkische Generalkonsul ist überaus unglücklich
Drei Tage vor der Premiere hatte Nix ein Brief aus Karlsruhe erreicht. Absender der türkische Generalkonsul Serhat Aksen. Darin schreibt der Statthalter Erdogans in Deutschland, er empfinde es als "überaus unglücklich", den Begriff "Völkermord in dem Theaterstück zu verwenden. Einerseits stelle dieser Begriff eine "offensichtlich begangene Straftat" dar, andererseits sei eine solche aber gerichtlich nie fest gestellt worden sei. Bei den "Ereignissen von 1915" handele es sich um ein "legitimes akademisches Diskussionsthema", zu dem auch die Konstanzer Theaterbesucher die "richtigen Informationen" erhalten müssten. Deshalb habe Nix seinen Brief (<link file:8848>hier in voller Länge) vor oder nach der Vorstellung vorzulesen beziehungsweise zu verteilen. Nix hat vorgelesen.
Die "Ereignisse von 1915", über die diskutiert werden kann, sind der Massenmord im Osmanischen Reich an den Armeniern. Bis zu eineinhalb Millionen Menschen verloren ihr Leben, massakriert oder elend verreckt in der Wüste, in die sie getrieben wurden. 22 Staaten nennen das Völkermord, Papst Franziskus eingeschlossen. Nach offizieller türkischer Geschichtsschreibung sind sie Überfällen, Hunger und Seuchen zum Opfer gefallen, nach aktueller türkischer Gesetzgebung wandert in den Knast, wer das bezweifelt. Der Journalist Hrant Dink zählte dazu. Und das gilt bis heute. Mit Bugwellen bis zum Bodensee.
Das Zentrum der 3000 türkischen Muslime in Konstanz ist weithin sichtbar: Die Mevlana-Moschee, weiß-blau, nahe dem Rheinufer, das Minarett 35 Meter hoch, eines der höchsten in Deutschland. Der Imam wird vom türkischen Staat eingesetzt, die Stadt hilft bei Finanzproblemen, der Oberbürgermeister tanzt bei der Jubiläumsfeier, die Türken stellen den größten Ausländeranteil in der 82 000-Einwohner-Stadt. Und sie rufen dort zur Demonstration gegen das Stadttheater auf, weil sie sich in ihrer Ehre und Würde verletzt fühlen. Stein des Anstoßes: das Plakat.
Im März 2011 wird die Kurdin und SPD-Spitzenfrau Sarikas zusammengeschlagen
Seit Zahide Sarikas im März 2011 brutal zusammengeschlagen wurde, geht in Konstanz die Angst um. Die damals 46-Jährige war Kandidatin der SPD für die Landtagswahl, sie ist Kurdin, Alevitin, ausgebildete Erzieherin und ausgewiesene Gegnerin des Kopftuchs. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in alle Richtungen, im rechtsradikalen wie im islamistischen Bereich. Erfolglos. Der Überfall ist bis heute nicht aufgeklärt. Fakt ist, dass sie im Dezember 2010 eine Resolution gegen den Islamprediger Pierre Vogel verfasst hatte, der kurz vor Weihnachten in einer städtischen Halle in Allmannsdorf auftreten sollte. Der Kölner Konvertit, Exboxer und Mitglied bei den Salafisten, will die "überlegene Religion" des Islam "in jedes Haus tragen". Er wird auch als "Hassprediger" bezeichnet, der insbesondere bei jugendlichen Muslimen eine Radikalisierung vorantreibe, so der Verfassungsschutz. Für Zahide Sarikas ist er mitverantwortlich für den zunehmenden Nationalismus unter jungen Türken.
24 Kommentare verfügbar
maguscarolus
am 02.04.2014>> Es geht nur darum <<
Nach meiner Überzeugung geht es bei solchen "Tagesmeldungen" nie nur um eben diese, sondern auch, wenn nicht gar vor allem, um die gesellschaftliche Befindlichkeit, die darunter zu Vorschein kommt.
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