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Schluckauf mit Egon

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Demokratische Wahlen sind auch dann demokratische Wahlen, wenn das Volk die Hamas wählt, konstatierte Egon Bahr, der es für einen Kardinalfehler unseres politischen Systems hielt, "dass uns das Bundesverfassungsgericht einen neuen Beruf geschenkt hat, nämlich den Politiker". Bei Bahr bekam mancher politische Täter schnell einen Schluckauf. Die knappen Statements haben es heute noch in sich, etwa sein Klartext zu Schülern im Ländle: "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten." Seine lapidare Feststellung, dass "von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl ... alle Bundeskanzler inoffizielle Mitarbeiter des CIA" waren, passt ins Heute wie die Faust aufs Auge und erklärt, warum unser Egon mehr in Talkshows als bei seiner Partei reden konnte. Unser Egon?

Als Entwicklungs-Hilfe-Minister hat Bahr rasch die Eppler'schen Erkenntnisse über Bord geworfen und neue Prioritäten geschaffen: Gut für die Welt ist, was dem deutschen Export nützt. Wir haben unsere Rohstoffquellen zu sichern: weniger moralischer Eifer, mehr Sinn für deutsche Eigeninteressen. Mit traditioneller Entwicklungshilfe, meinte er, sei weder daheim noch draußen großer Eindruck zu machen. "Allenthalben wachse die Erkenntnis, dass mit einigen Tausend Experten, mit Hunderten von Projekten in Asien, Afrika und Südamerika und mit einigen Milliarden an zinsgünstigen Krediten eine Wende in den notleidenden Regionen des Globus nicht zu bewerkstelligen sei." ("Spiegel", 5. 1. 1976).

Da lag er voll daneben. Angesichts der Millionen, die seit Jahren vor Ausbeutung, also Hunger, auf der Wirtschaftsflucht sind, die den Schächern entkommen sind, den politreligiösen Fanatikern aller Farben, die dem Tod im letzten Augenbock von der Schippe gesprungen sind, zeigt sich das ganze Versagen dieser Politik. Fassungslos sehen wir die Polizei (nicht nur) in Heidenau auf dem Rückzug, die ratlose Kaste der Berufspolitiker versteckt sich in den Sommerferien. So wie wir die Flüchtlingen in Griechenland im Stich lassen, lassen wir sie auch in Mazedonien im Stich, wo die Armee Blendgranaten gegen Mütter mit Babys einsetzt. Wir lassen sie auch bei uns im Stich, überlassen sie dem Pöbel aus der Mitte der Gesellschaft, ostwärts, westwärts, bis es richtig knallt. 400 000? 600 000? Eine Million. Wetten, dass?

Das Elend vor der Haustür einer der reichsten Nationen der Welt. Die durchorganisierte Republik mit Sticheleien in den Leitmedien gegen Flüchtlinge, mit Hasstiraden und Morddrohungen, nach denen kein Justizhahn kräht. Überforderte, weil bürokratiegestählte Beamte, hilflose Behörden. Wär da nicht die Zivilgesellschaft.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die Anstifter.

 



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2 Kommentare verfügbar

  • invinoveritas
    am 26.08.2015
    Antworten
    Lieber Peter,

    bei deinem Rundumschlag geht es arg durcheinander:

    Nein, es ist nicht der Pöbel!
    Es ist die Mitte der Gesellschaft!
    Es ist der Pöbel aus der Mitte der Gesellschaft!
    Wär da nicht die Zivilgesellschaft!

    Ein argumentativer Steinbruch. Oder so ne Art Wühltisch.

    Und dann…
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