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Hans Bayer, der Stuttgarter aus Cannstatt, hätte jetzt viel zu tun, lebte er noch. Vielleicht, weil es so aktuell ist, widmet die Stiftung Topografie des Terrors dem Kriegsberichterstatter aus dem Zweiten Weltkrieg eine Sonderausstellung (Berlin, ab August): Bayer musste 1938 zu den Soldaten und war ab 1941 bei einer Propagandakompanie an der Ostfront. Propaganda und Ostfront – das tät auch heut passen, Ausstellung hin oder her.

Für unsereins hat der Kollege viel getan, unter anderem als Motor für den Schriftstellerverband, als Zuredner für eine freie, unabhängige Presse, als Zeitzünder für eine Künstlersozialkasse. Und er hat unglaublich viel dazugelernt – eine Fähigkeit, die zunehmend verloren geht: Bayer wurde Pazifist und politischer Akteur. Mit Heinrich Böll und Günter Grass wurde er 1974 gewissermaßen zur SPD vorgeladen: "Eine Dichterlesung wird es nicht werden", schrieb seinerzeit die "Frankfurter Rundschau". Bayer empfahl der SPD die Provokation und den Mut zu einer klaren Absage an den Staatskapitalismus, den Mut zum Widerstand gegen die Pressionen der internationalen Konzerne, die Abkehr von der Mauschelei um Ämter als Sinekuren für ausgediente Funktionäre. Und 1977 forderte er die Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass ein Radikaler noch lange kein Terrorist ist und dass Persönlichkeiten wie der junge Schiller, Hölderlin, Schubart, Hegel und Brecht Radikale waren, dass Pestalozzi, Fichte, Lessing, Leibniz, Arndt, die Brüder Grimm, Jahn und Hoffmann von Fallersleben als staatsgefährdend galten, ihre Ämter und Professuren verloren und mit Berufsverbot bestraft wurden.

Eingebettet in die Furzmullen der Macht, mit vorauseilendem Gehorsam den Verbündeten hinterher, ohne Ecken und Kanten präsentieren sich dieser Tage die Farben tragenden Parteien. Da muss, im Falle Sant'Anna di Stazzema, ein Gericht dem Justizminister sagen, wo der Barthel den Moscht holt, um einen Prozess neu aufzurollen, da braucht es einen Bundesverfassungsrichter, der Abgeordnete vor ihren Diäten warnt und meine Omi Glimbzsch in Zittau, die – von Ossi zu Ossi – die Kanzlerin um die Aufnahme jesidischer Flüchtlinge bittet: zwar Türken, aber immerhin Christen.

Trauern wir also um Thaddäus Troll, jenen aufsässigen, radikal-liberalen Schwaben, den Hans Bayer aus Cannstatt, der 100 geworden wär in diesem Jahr, und die zunehmende Abnahme von Courage, freier Rede und freier Presse, überall. Troll – das wär ein Wetterer gegen die Griffelschpitzer und Lugabeitel, die Erbsazähler und Wendbeitel.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die Anstifter.


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1 Kommentar verfügbar

  • Leser
    am 13.08.2014
    Antworten
    Puh, ich habe immer Mühe mir das anzuhören, könnt ihr dem Mann mal ein ordentliches Mikrofon kaufen bitte?
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