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Ohne Glatze

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Am schlimmsten sind die Glatzen ohne Glatze, eine Spezies, die unsereins als Gutmenschen stempelt, Judenwitze unanständig findet, wenn man sie im Beisein von Frauen und Kindern erzählt und Grenzen verwischt: Zwischen gut und böse, zwischen braun und rot, zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, dumm und intelligent. Bei den Judenwitzen (nicht: jüdische Witze) geht einem nicht nur der Hut hoch, sondern es dreht sich auch der Magen um. Aus zwei Gründen: Sie treffen Seele und Magengrube und haben – via Internet – unglaublich hohe Zugriffe. Sie werden kommentiert, beklatscht, weitergegeben – nichts scheint unmöglich. Doch, halt – eines: Von der Justiz her kann offenbar nichts, reineweg gar nichts gegen diese bösartige Schmutzwelle getan werden, die zu Mord und Totschlag auffordert, den Holocaust leugnet und dem Juden das Gas in den Hals wünscht. Beispiel gefällig: Hitler auf Staatsbesuch in einem KZ. Er winkt einen kleinen Jungen herbei. "Na, wie alt bist Du denn?" - "Morgen werd' ich zehn!", sagt das Kind. Hitler: "Wetten, nicht?" Mag ja sein, daß Euer Wetterfrosch diesbezüglich besonders empfindlich ist, Leute, – doch wo immer ich mit dieser Nachricht hier auftauche, ernte ich ein müdes Schulterzucken. Nu, dann googelt einfach weiter so. Aber mir stinkts.

Sie sehen: Braun ist auch diesmal wieder meine Farbe der Woche. Das Gedankengut gibt's inzwischen intellektuell aufgepäppelt längst in der Mitte der Gesellschaft, von Weikersheim bis Zittau, wo die Neue Rechte meine Omi Glimbzsch höflich über die Straße hilft, obwohl kein Auto kommt. Nicht nur ihre unmittelbaren Nachbarn finden das toll – solange jemand kein Hitlerbärtchen trägt oder mit dem Schrägscheitel angibt, ist ja noch alles in Ordnung. Auch weiter westwärts ist man fest im Glauben, daß der echte Nazi komplett schwarz durch die Gossen torkelt, springerbestiefelt und poliert der Schädel, die Faust bereit, jederzeit eine Türkenfresse zu treffen.

Man übersieht bei diesen Bildern aus der linken Kindheit, daß die neuen Nazis auch sehr gut bunt können – äußerlich in nichts zu unterscheiden von ihren politischen Antipoden. "Braune Modemarken bedienen sich heute bei fast allen Jugend-Bewegungen: Auf ihre Shirts und Pullis schreiben sie 'Heimat' heute nicht mehr nur in gotischen Lettern, sondern auch im Grafitti-Style – schließlich hört man längst nicht mehr nur dumpfen Rumpel-Rock, sondern auch 'nationalen Sprechgesang', so Christoph Gurk im Online-Dienst des Bayerischen Rundfunk.

Rassismus und Popkultur kommen ganz gut klar miteinander, und alle, die auf dem Internet-Tripp sind, wissen, daß da 100 000 oder auch 1 000 000 Zugriffe keine Seltenheit sind. Die Medien der Aufgeklärten hinken dem Zeitgeist weit hinterher - ich krieg noch ein Magengeschwür, wenn sich das nicht ändert. Meine seriöse Tagespresse gibt sich unterdessen erschrocken: Mehr als 10 Morde in 10 Jahren, keucht sie und ist offenbar unfähig, den Bogen zeitlich ein kleines Stückchen auszuweiten: Seit 1990 zählt die seriöse Amadeu-Antonio-Stiftung 181 Todesopfer. Aber die Stiftung ist meiner seriösen Tagespresse unbekannt.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Gründer des Bürgerprojekts Die Anstifter.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jörg Krauß
    am 20.05.2013
    Antworten
    Welchen (Integrations)- Bambi hätten wohl folgende Textzeilen einer Band "gewonnen", wären diese mit Musik "garniert" in diesen Tagen vorgeschlagen worden:"

    Den Tod gesäht durch blinde Profitgier
    Dichter verhungern Kinder verbluten
    Alles was Du haben kannst braucht du nicht wirklich
    der…
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