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"Falsche Fuffziger" ...

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Es privatet. Alles wird desinfiziert, alles wird clean gemacht. Alles wird profitabel. Die falschen Fuffziger, die man den lieben Bürgerinnen und Bürgern angedreht hat, tauscht keine Bank um. Und wenn, dann würde die garantiert pleite gehen.

... hätt meine Omi Glimbzsch aus Zittau zu so einem gesagt. Nicht zornig oder wutentbrannt, eher lapidar – "das sieht man doch!" Sie hat ihre Vorurteile gepflegt, und ich habe etliche mitgenommen von ihr. Nehmen wir meinen Notarzt. Sportlich, gesund, braun gebrannt, Turner-Wähler, wie ich sofort sah. Er habe eben seiner Tochter in Tübingen ein Apartment gekauft, weil's dort zu wenig Studentenbuden gibt. "Selbst ist der Mann", meinte er, als er mich auf Hautkrebs untersuchte (das sollten Sie auch machen lassen!). Die Untersuchung dauerte maximal drei Minuten, was ich beruhigend fand. Er könne das Ergebnis auch irgendwie komplett dokumentieren, aber das koste extra, die Kasse zahlt die 75 Euro nicht. In den drei Minuten hatte ich mich bis auf die Unterhose entkleidet, war auf eine DIN-A3-Serviette gestellt worden, hatte dem Arzt meine Warze auf dem Handrücken präsentiert, über ein Jucken an der Kopfhaut geklagt und einen wuchernden Fußnagel erwähnt – große Zehe rechts. Der Herr Doktor nickte, drückte mir einen Kampfaufruf seiner Ärztegenossen in die Hand und empfahl mir den Blick in den Vorzimmerschrank – eine kluge Auswahl spezieller Mittelchen gegen Pilze, Harndrang, Warzen und Erröten, alles ohne Rezept, "aber Gesundheit kostet eben". Ein kräftiger Händedruck, bei dem mein Tennisarm wieder schmerzte. Er hatte offenbar sein Zeitbudget längst überzogen. Das Warzenmittel im Vorzimmer für 36 Euro schien mir denn doch etwas zu teuer. Der Herr Doktor, wurde versichert, kann das auch herausschälen ... Ob man die Hand dann je wieder verwenden kann, ließ die Sprechstundendame offen. Ich zahlte meine zehn Euro Praxisgebühr und machte mich örtlich betäubt auf den Heimweg.

So schnell verdienen nicht mal Steinbrück oder Turner ihr Geld, von mir ganz zu schweigen. Alle beide sind ja Freunde des Privatpatienten, der bezahlten Partnerschaften, die man sonst eher im Rotlichtmilieu oder im Privatfernsehen antrifft. Weil gespart werden muss, vernachlässigen die Träger öffentlicher Aufgaben diese so lange, bis sich Gemeinderäte, MdLs oder MdBs schwarz, rot, geld oder grün ärgern und alles Öffentliche verramschen. Peter Grohmann.Vom Schulessen bis zur Wasserkraft, von den schönen Plätzen in der Stadt bis zum Klärwerk über die Putzfrau im Rathaus zum Klo im Bahnhof und der Eisenbahn: es privatet. Alles wird desinfiziert, alles wird clean gemacht. Alles wird profitabel. Die falschen Fuffziger, die man den lieben Bürgerinnen und Bürgern angedreht hat, tauscht keine Bank um. Und wenn, dann würde die garantiert pleitegehen. Helfen wird in diesem Fall immer die öffentliche Hand, mit oder ohne Warze. 

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Gründer des Bürgerprojekts Die AnStifter.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Domino
    am 12.10.2012
    Antworten
    Arzte sind die einzigen die sich selbst ihre "Aufträge" erteilen
    und immer bezahlt werden.
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