KONTEXT:Wochenzeitung
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Ein Meister für die Geister

Ein Meister für die Geister
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Folgt man der "Stuttgarter Zeitung", dann droht Stuttgart Ungemach, weil in Sachen S 21 nur Lehrlinge unterwegs sind. Die Parkschützer, die Blockierer auf die Straße schicken, ein Professor, der zu zivilem Widerstand aufruft, und ein Verkehrsminister, der sich mit wild gewordenen Demonstranten "verbrüdert". Kein Chef weit und breit.

Wenn die "Stuttgarter Zeitung" mit Goethe anfängt, heißt es aufpassen. Dann ist der Bildungsbürger gefordert. Also schnell den "Zauberlehrling" rekapituliert. Jene Ballade von Johann Wolfgang, in welcher der Stift einen Besen in einen Knecht verwandelt, der unaufhörlich Wasser ("Walle, Walle") herumschüttet, was den Stift zu der bekannten Aussage veranlasst: "Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los." Erst der Meister bringt das Chaos unter Kontrolle ("In die Ecke, Besen! Besen!"), woraus eines zu lernen ist: Zaubern sollte nur der Chef.

Folgt man der Zeitung ("Zauberlehrlinge in Aktion"), dann droht Stuttgart ähnliches Ungemach, weil in Sachen S 21 nur Lehrlinge unterwegs sind. Die Parkschützer, die nur noch "sogenannte" sind und Blockierer auf die Straße schicken, ein Professor, der zu zivilem Widerstand aufruft, und ein Verkehrsminister, der sich mit wild gewordenen Demonstranten "verbrüdert". Kein Chef weit und breit. Boris Palmer und Werner Wölfle, so wird zart angedeutet – vielleicht. Winfried Hermann kann es nicht sein. Mit seinen nicht korrekten Äußerungen sei er, heißt es, bereits zur Belastung für die Koalition geworden sei. Und dann noch in Jeans und ohne Krawatte am Bauzaun. Da fehlt nur noch der Protestbutton am himmelblauen Hemd, das genau so himmelblau ist wie das seines Gegenübers, des Ober-Parkschützers Matthias von Hermann. (Alles Weitere steht in der Geschichte von Susanne Stiefel, die den Minister in seinen ersten Tagen begleitet hat.)

Wo so viele Fragen sind, hilft Kontext:Wochenzeitung gerne. Vor allem, wenn die Kommentatoren vom Journalistenstreik gestresst sind, von dem in dieser Ausgabe auch die Rede ist. Also: wenn der Hermann, ohne von, nicht der Chef ist, könnte es vielleicht der mit von sein? Der mandelt sich bekanntermaßen schwer auf, lässt keine Kamera und kein Mikrofon aus und befehligt eine Truppe, die morgens (zur Tarnung) Baumyoga betreibt und abends (in Wahrheit) Bauzäune einreißt. Andererseits, sagen Insider, könne Matthias von Hermann nicht der Meister sein, weil bei den Parkschützern eh jeder mache, was er wolle. Das weist auf ein gewisses Autoritätsdefizit hin, das auch dadurch nicht wettzumachen ist, dass er am Tag fünf Pressemitteilungen in die Welt hinausschickt. Er dürfte also auch eher der Stift sein. Genauso wie die Politikprofessoren, Soziologen, Geologen und sonstigen Apokalyptiker des Berliner und schwäbischen Abendlands. 

Streng hierarchisch gesehen, müsste nun Winfried Kretschmann ran. Aber da weiß man ja auch nicht so recht, wo der steht. Sicher steht er nur auf dem Stuttgarter Marktplatz, wo er sich am 1. Juni im Rahmen einer Volksversammlung von den Bürgern befragen lässt. Aber ein Machtwort des Ministerpräsidenten, so nach dem Motto: Jetzt seid mal ruhig, wir regeln das schon? Eher unwahrscheinlich. Da sollte man mal genauer hingucken ,und schon stellt man fest, wer hinter dem Ganzen steckt. Gangolf Stocker, der Vater der Bewegung, der Spiritus Rector des Aufbruchs. Künftig will er Stuttgart zur Keimzelle für ein neues demokratisches Miteinander machen. Was also liegt näher, als ihm die Rolle des Meisters zu übertragen?

Er hat das nötige Alter (67 Jahre), die unübertroffene Erfahrung im Widerstand (16 Jahre), die ausreichende Zahl von Strafanzeigen (13) und die Autorität des Altlinken, der den jungen Wilden zeigt, wo der Hammer hängt. Er müsste nur noch einmal überzeugt werden, dass sein Entschluss, die Brocken beim Aktionsbündnis hinzuschmeißen, falsch war, dass nur er der Friedensbringer sein kann. Wir von Kontext:Wochenzeitung wetten, dass er es machen würde. Man müsste ihm nur die Vollmacht erteilen, Matthias von Hermann und den unermüdlichen Friedensaktivisten Henning Zierock in Handschellen abführen zu können, dann würde Stocker das Amt übernehmen. Sollte jemand noch einwenden, für alles andere fehle ihm das Nette, das Verbindliche, der hat ihn noch nie lachen sehen mit dem grünen Vivil im Mund. Außerdem könnte man ihm noch Walter Sittler an die Seite stellen und Volker Löschs Bürgerchor singen lassen:

"In die Ecke,

Besen! Besen!

Seid's gewesen.

Denn als Geister

Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,

Erst hervor der alte Meister".

Danach ist bestimmt Ruhe im Karton.


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