KONTEXT:Wochenzeitung
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Foto für zwei fuffzig

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Verleger Valdo Lehari jr. inszeniert sich öffentlich gerne als Branchen-Superman. Dabei missachtete sein "Reutlinger General-Anzeiger" (GEA) jahrelang Mindesthonorarvorgaben für freie JournalistInnen. Das wollte der Journalist Martin Schreier nicht länger hinnehmen und verklagte den Verlag. Jetzt bekommt er keine Aufträge mehr.

Was für ein Mann und Traum schlafloser Journalisten: "Freiheit und Verantwortung, die Wahrung von Grundwerten im Allgemeinen, die Prinzipien der freien Presse oder der Wert geistigen Eigentums im Speziellen – das sind die Themen, denen sich Valdo Lehari jr. mit Leidenschaft widmet." So huldigt Hartmut Troebs, Chefredakteur des "Reutlinger General-Anzeigers" (GEA), seinem Boss, Herausgeber und "heimatverbundenen Kosmopoliten" in einem Text zu seinem 60. Geburtstag. Die Lobhudelei auf den GEA-Chef ist kaum zu übertreffen. Als "unermüdlicher Streiter für die Verlags- und Medienbranche" sei er überall dort am Start, wo "er bedrohliche Regulierungswut ausmacht". Er jette zwischen den USA, Reutlingen und Brüssel und widme sich "vielfältigen und komplexen Themen" zwischen "Urheberrecht, Werbefreiheit, Datenschutz". Dass er darüber hinaus auch gerne mal "seine schützende Hand" über "benachteiligte Menschen" halte, macht klar: Dieser Mann muss der Superman deutschen Verlegertums sein.

In einer pathetischen Rede anlässlich des 125. GEA-Jubiläums 2013 in der Festhalle Reutlingen betont Lehari das überragende Standing seiner Zeitung ("Von Brüssel über New York über Berlin. Von Hip-Hop zu Blasmusik"), die nur aus einem einzigen Grund in Zukunft Probleme bekommen könnte: "Wenn es keine fairen Wettbewerbsbedingungen [mehr] gibt." Den Applaus am Ende widmet er seiner Familie und der Zeitungs-Belegschaft. In der Jubiläumsausgabe brüstet sich der GEA mit seinen zahlreichen freien MitarbeiterInnen sogar in einem eigenen Artikel ("Sie düsen von Termin zu Termin") und rühmt ihren unermüdlichen Einsatz für die geilsten GEA-Stories – denn "Freie sind mit Kreativität und Herzblut bei der Sache". Wow. Was muss es für einen Freien Schöneres geben, als in Leharis Laden arbeiten zu dürfen?

Martin Schreier würden da ein paar Dinge einfallen. Der 47-Jährige hatte bis 2014 über zehn Jahre das Vergnügen. Nach seinem Volontariat beim GEA wurde er hauptberuflich freier Journalist. Schrieb für den GEA zahlreiche Nachrichten und Berichte. Aber auch Porträts, Reportagen, Kritiken und Kommentare. Produzierte regelmäßig Fotos und Bildstrecken. Bekommen hat er dafür nicht einmal das Mindesthonorar – und das betrifft nicht nur ihn. Für die Textgattung Kommentare hätte der GEA laut Schreier beispielsweise 1,02 Euro pro Zeile zahlen müssen. Honoriert habe er aber nur 62 Cent pro Zeile. Für vierspaltig abgedruckte Bilder wären 40 Euro fällig gewesen. Der GEA habe aber bis Dezember 2012 lediglich bis zu 23,01 Euro gezahlt und danach bis zu 30 Euro. Für Bildstrecken mit mindestens 20 Bildern habe es pauschal 50 Euro gegeben. Also 2,50 Euro pro Bild.

Jahrelang verstieß der GEA gegen die rechtlich bindenden Vergütungsregeln, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass freien Journalisten ein angemessenes Honorar für Text und Bild bezahlt wird. Ausgehandelt haben die Vergütungsregeln die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union (dju) der Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zusammen mit dem Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Als Mitglied des BDZV verpflichtet sich der GEA, sie anzuwenden. Hat er aber nicht. Dabei ist Verleger Lehari sogar Vorsitzender des Südwestdeutschen Zeitungsverlegerverbands (VSZV) und bringt seine "schützenden Hände" als Vizepräsident des Europäischen Zeitungsverlegerverbands (ENPA) zum Einsatz. Für einen "leidenschaftlichen Lobbyisten", der mit "Kopf, Herz, Bauch und Mut" für die Zukunft der Gesellschaft einsteht, wie Troebs seinen Chef porträtiert, ist das ein Fleck auf dem Superman-Cape.

2013 schloss sich Schreier mit sieben weiteren Freien des GEA zusammen und forderte den Verlag auf, ausstehende Beträge zu bezahlen und die Honorare in Zukunft an geltendes Recht anzupassen. Nichts geschah. Auch ein Brief des damaligen Verdi-Landesbezirksfachbereichsleiters Gerd Manthey in Abstimmung mit den Freien an Lehari blieb unbeantwortet. "Eben weil Lehari ein herausragender Vertreter der Verleger ist, wollten wir ein Gespräch mit ihm", erklärt Manthey zur Causa GEA. Selbst gemeinsame Infotreffen mit dem Betriebsrat konnten nichts ändern. "Zu Lehari ist der Betriebsrat meines Wissens nie durchgedrungen", erklärt Schreier enttäuscht. "Es gab immer irgendwelche Gründe, weshalb man bei Treffen mit dem Verleger nicht über das Thema gesprochen hat oder warum die Treffen erst gar nicht zustande kamen." Stattdessen, so Schreier, versuchte Chefredakteur Troebs vergeblich, die Freiberufler in Einzelgesprächen abzufangen. Lehari selbst reagierte nie.

Als es dann Anfang 2014 zu einem gemeinsamen Gespräch mit dem Chefredakteur kommt, empfängt der die Geprellten nicht allein. Zu ihrer Überraschung hatte Troebs neben seinem Stellvertreter Christoph Fischer auch sechs Ressortleiter neben sich versammelt. Weil die Freien ihrerseits Betriebsratsmitglied Thomas Baral zur Verstärkung mitgebracht haben, kommt es zum Clash. "Der Chefredakteur drohte, das Gespräch sofort scheitern zu lassen, falls wir keine Abstriche unserer Forderungen akzeptierten", erinnert sich Schreier kopfschüttelnd. "Das ist absurd, weil das Urheberrechtsgesetz derlei Absprachen zum Nachteil von Urhebern nicht gelten lässt!" Das Ergebnis des Gesprächs brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Bildhonorare, die Troebs festlegte, lagen im Durchschnitt immer noch weit unter dem Mindesthonorar, sagt Schreier. Heute möchte sich der GEA-Chefredakteur auf Kontext-Nachfrage nicht zum Fall Schreier und den Einzelheiten äußern.

In einer letzten gemeinsamen Mail teilten die Freien dem Verlag mit, dass sie mit dem ernüchternden Gesprächsergebnis nicht einverstanden sind. Dann trennten sich ihre Wege. Zu groß war die Angst von Schreiers KollegInnen, vor die Tür gesetzt zu werden. Sie gaben sich mit den unzureichenden Honorarerhöhungen zufrieden. Ließen rechtliche Ansprüche auf bis zu fünfstellige Nachzahlungen verjähren. Schreier wollte jedoch ein Zeichen setzen. Es durchziehen. "Es kann einfach nicht sein, dass man da nichts macht. Ich sehe das auch als politische Aufgabe", sagt der sanfte Mann bestimmt. Ende 2014 klagt er schließlich gegen den Verlag.

Da es der GEA nicht auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen will, bittet er um eine außergerichtliche Einigung. Als Ende 2015 ein Vergleich zustande kommt, muss Leharis Verlag Schreier Tausende Euro nachzahlen. Endlich akzeptiert er die Vergütungsregeln – aus Angst vor einer drohenden Gerichtsverhandlung. Dem GEA ging sogar derart die Düse, dass er auch auf die zunächst geforderte Verschwiegenheitsklausel verzichtet. Sie hätte verhindern sollen, dass Schreier frei über den Vergleich berichten kann und niemand etwas von dem Vorfall mitbekommt. "Das wäre für mich nicht hinnehmbar gewesen nach Jahren ungerechter Honorierung", erklärt Schreier selbstbewusst. Doch trotz des positiven Vergleichsergebnisses ist dem gebürtigen Kasselaner nicht zum Jubeln zumute. Dass er ein Vorbild für andere freie Journalisten sein könnte, winkt er peinlich berührt ab.

Seit er gegen den GEA geklagt hat, erhält er keine Aufträge mehr. Sorgt sich, auf einer "Blacklist" zu stehen und damit als Tunichtgut auch anderswo keine Jobs mehr zu bekommen. Trotzdem hat er <link https: verguetungsregeln.wordpress.com external-link-new-window>einen sechsseitigen Erfahrungsbericht sowie Klage- und Vergleichstexte öffentlich zur Verfügung gestellt. "Ich hab natürlich Angst davor, was das für Auswirkungen haben könnte und dass ich mir damit Möglichkeiten verbaue", sagt er. Aber jetzt ist die Katze aus dem Sack. Und das sei auch gut so, meint Schreier. Ein Zurück gibt es eh nicht mehr.

Momentan kann er sich als Fotograf über Wasser halten. Macht Bilder für Unternehmen und Institutionen. Baut sich mühsam ein neues Netzwerk auf. Enttäuscht ist er nicht nur vom GEA, sondern auch von seinen KollegInnen. Schon als Volontär war er bei allen möglichen Streiks und Kundgebungen in der Region dabei. Unterstützte als Freiberufler fest angestellte JournalistInnen aus Reutlingen, Stuttgart oder Tübingen. Zeigte Flagge gegen Missstände in schwäbischen Redaktionen. Klar verstehe er die Ängste seiner KollegInnen. Er weiß ja selbst, was passiert, wenn man sich nicht wegduckt. Seine Vorstellung vom aufrechten, standfesten Journalisten hat aber Kratzer bekommen. "Als Jugendlicher dachte ich immer, dass Journalisten starke Menschen sind. Dass die sich für andere einsetzen und Sachen aufdecken", erzählt der Idealist. "Doch wenn es um die eigene Sache geht, haben sie keinen Mumm."

Schreiers Geschichte ist kein Einzelfall, wie ein Blick auf die Landkarte der Seite <link http: www.faire-zeitungshonorare.de external-link-new-window>www.faire-zeitungshonorare.de zeigt. Hier stehen zwanzig grün markierte Zeitungshäuser einem Meer von roten Punkten gegenüber, die anzeigen, wo kein Mindesthonorar bezahlt wird. Wo sich also auch nicht genügend Freie gemeinsam widersetzen. Die Zahl derer, die es wie Schreier durchziehen, ist verschwindend gering. Die Verdi-Zentrale in Berlin habe auf Anfrage erklärt, "dass man deutschlandweit von nicht mehr als zwei Dutzend Fällen wisse, in denen Freie seit der Einführung der Vergütungsregeln 2010 geklagt haben", so Schreier. Bei Tausenden hauptberuflich freien Journalisten, Redakteuren und Pressefotografen landesweit ein Witz. Trauen sich dann doch ein paar Mutige, den juristischen Knüppel aus dem Sack zu lassen, stehen sie da wie die Männ- und Fräulein im Walde. Können kein Netzwerk aufbauen, um im Kollektiv mit den Gewerkschaften für den Mindestlohn zu kämpfen.

Hinderlich ist auch eine dezentrale Abfertigung von Bewilligungen juristischer Hilfe bei den Gewerkschaften. So bekommt Berlin nicht zwingend etwas davon mit, dass ein Tübinger gegen den GEA klagt. Es fehlt ein zentrales Register, das eine deutschlandweite Übersicht darüber gibt, wie viele Menschen sich im Rahmen der Vergütungsregeln juristisch wehren. "So hätte man zumindest eine statistische Grundlage, um auf politischem Wege mit Fakten zu argumentieren", meint Schreier. Doch bislang kämpft er, wie die anderen, die sich trauen, allein gegen Goliath. Der wiederum ist, wie Chefredakteur Troebs, zu keiner Stellungnahme bereit. Superman hätte sich getraut.


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3 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 05.06.2016
    Antworten
    Meines Erachtens ein hervorragender Artikel der keine Fragen offen lässt und jedem Leser die Möglichkeit bietet sich eine eigene Meinung zu bilden. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Artikel Elena Wolf und Kontext.

    Dieses anschauliche und grundsätzliche Beispiel der Doppelmoral von Menschen in…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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