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Stille Nacht, helle Nacht

Stille Nacht, helle Nacht
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Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch des Lichts. Von der Shoppingmall bis zur Hundehütte erstrahlt alles festlich illuminiert. Doch passt Strom fressendes Christbaumlametta überhaupt noch in unsere Zeit? Das Christkind würde Lichterketten und Blinkesterne ausknipsen, glaubt unser Autor.

"Det is wat, wa!", würde der Berliner sagen. Zu einer der letzten Amtshandlungen von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister gehörte die Inbetriebnahme der Weihnachtsbeleuchtung am Ku'damm. Per Knopfdruck setzte "Wowi" Ende November 570 Bäume sowie Dutzende Weihnachtmänner und Nussknacker zwischen Rathenauplatz und KaDeWe in Lichtszene. Traditionell sponsert die Berliner Wall AG, ein Unternehmen des weltweit umsatzstärksten Außenwerbers JCDecaux, den festlichen Glanz. Mehr als 50 Kilometer Kabel und rund 230 Kilometer Lichterketten wurden am Ku'damm verlegt, was der Entfernung von Berlin nach Braunschweig entspricht. Kaum weniger eindrucksvoll erstrahlt derzeit der Boulevard Unter den Linden. Hier sponsert der Energieversorger Vattenfall die Festbeleuchtung von 220 Lindenbäumen und zusätzlichen Lichtskulpturen.

Deutlich bescheidener geben sich die Weihnachtsbeleuchter im Süden der Republik. Die Glühweinbuden des Stuttgarter Weihnachtsmarkts überragten in diesem Jahr drei große Weihnachtsbäume, die erstmals sogar mit Ökostrom der Stadtwerke erstrahlten. Um den Verbrauch zu drosseln, bekam etwa der Christbaumriese auf dem Schlossplatz, laut Stadtwerken einer der größten deutschlandweit, eine neue energiesparende LED-Lichterkette umgehängt. Eine Kette der Superlative: Sie ist fünfmal länger (5,8 Kilometer) als das Vorgängermodell, hat fünfmal so viele Lampen (40 000 LEDs), verbraucht aber rund 40 Prozent weniger Strom (2625 Watt).

Dennoch: Die jährliche Lichtorgie zum Jahresausklang, ob auf öffentlichen Plätzen oder in privaten Vorgärten, haut richtig rein. "Der Stromverbrauch für Weihnachtsbeleuchtung steigt immer mehr", sagt Rüdiger Winkler vom Institut für Energiedienstleistungen. Jährlich berechnen die Heidelberger Experten, wie der Lichterglanz zwischen Advent und Dreikönig zu Buche schlägt. Das Ergebnis lässt klamme Stromkonzerne jubeln: Wer mit zwei Lichterketten und einem herkömmlichen Lichtschlauch besinnliche Stimmung verbreitet, zahlt rund 50 Euro extra. Ein Durchschnittshaushalt verbraucht so rund 190 Kilowattstunden Strom zusätzlich. Auf Deutschland hochgerechnet ziehen Minilämpchen und Lichtschläuche etwa 500 Millionen Kilowattstunden. Das ist etwa die Hälfte des Strombedarfs, den sonst im Jahr Beleuchtung benötigt. "Der Verbrauch der deutschen Weihnachtsbeleuchtung würde reichen, um 141 000 Haushalte ein ganzes Jahr komplett mit Energie zu versorgen", veranschaulicht der Experte.

Weltweit 1,3 Milliarden Menschen ohne Stromzugang 

Ein Blick über den Tellerrand zeigt, welch unglaublichen Luxus wir uns damit leisten. Laut Schätzung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) haben heute noch rund 1,3 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu einem öffentlichen Stromnetz. Sie sind von Leuchten abhängig, die mit fossilen Brennstoffen – meist Petroleum – betrieben werden. Für Licht im armen Dunkel werden jedes Jahr unglaubliche 25 Milliarden Liter Petroleum und 1,4 Millionen Tonnen Kerzen verbrannt, wodurch 74 Millionen Tonnen des Treibhausgases CO2 ausgestoßen werden. Petroleumlampen sind nicht nur extrem ineffiziente, unwirtschaftliche und klimaschädliche, sondern auch gefährliche Lichtquellen. Der Verbrennungsruß bedroht die Gesundheit der Petroleumnutzer.

Doch auch wenn hierzulande Elektrizität nahezu ununterbrochen fließt: Die Umweltbilanz eines erleuchteten Weihnachtsbaums ist alles andere als gut, solange die Energiewende noch nicht geschafft ist. Bei der Erzeugung einer Kilowattstunde Strom wurden in Deutschland im vergangenen Jahr durchschnittlich 559 Gramm Kohlendioxid als direkte Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger emittiert, errechnete das Umweltbundesamt. Ein deutsches Weihnachten beschert dem außer Kontrolle geratenen Weltklima etwa 280 000 zusätzliche Tonnen an Treibhausgasen.

Kaufhäusern, Stromkonzernen und Lichtkettenproduzenten allein die Schuld für die weihnachtliche Stromverschwendung zu geben wäre zu kurz gesprungen. Tatsächlich besitzt Licht gerade an christlichen Festtagen auch eine religiöse Bedeutung. "An Ostern siegt die Sonne des Lebens über das Dunkel des Todes. An Weihnachten hören wir die prophetischen Texte vom Licht, das in Jesus Christus in die Welt gekommen ist. In der Mitternachtsmette deutet uns der Prophet Jesaja das Geschehen der Geburt Jesu mit den Worten: Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht. Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf", erwähnt Benediktinerpater Anselm Grün Jesaja 9,1 in seinem viel zitierten Aufsatz "Triumph des Lebens über die Finsternis". Licht und Finsternis würden nicht nur auf den Tag und die Nacht, die der Mensch als hell und als dunkel erlebt, hinweisen. Die beiden seien auch zwei Weisen, wie der Mensch sich selbst erlebt. "Er erlebt Dunkelheit, wenn seine Seele sich verfinstert, wenn er orientierungslos ist und nicht durchblickt, oder auch wenn Trauer und Verzweiflung sein Herz verdunkeln. Auch Wut und Ärger können sein Herz verfinstern. Wir sprechen dann von einer finsteren, feindseligen Miene, die ein Mensch uns zeigt. Licht dagegen bedeutet, dass sich unsere Seele aufhellt, dass wir fröhlich sind, dass wir einen klaren Sinn in unserem Leben sehen", so Grün.

Milliarden Lichtquellen ein Verlust an Nacht

Doch nicht jeder sieht Dunkelheit als bedrohliche Finsternis. Für viele Wissenschaftler ist ein durch unzählige Lichter angestrahlter tagheller Nachthimmel sogar ein "Verlust der Nacht". Biologen, Verhaltensforscher und Astrologen kritisieren, dass Licht ausschließlich positiv mit Werten wie Sicherheit, Wohlstand und Modernität besetzt ist, was dazu animiere, alle Umgebung intensiv zu beleuchten. Denn Licht hat auch eine Schattenseite: Die Lichtverschmutzung, genauer: die Verschmutzung des natürlichen, nächtlichen Lichts durch künstliches Licht, die in jüngster Vergangenheit extrem zugenommen hat. Auswirkungen auf Mensch und Natur durch künstliches Licht sind bisher weitestgehend unbekannt. Ganzheitliche Ansätze und eine differenzierte Untersuchung der Auswirkungen des künstlichen Lichts gibt es jedoch derzeit nicht. Ein interdisziplinärer Forschungsverbund soll das jetzt klären.

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Nächtliche Lichtquellen der Erde: NASA-Animation aus 312 Orbitsatellitenflügen in 2012 

Auch das Argument, dass mit vermehrtem Einsatz energieeffizienter LED-Leuchten sich die Ökobilanz der (Weihnachts-)Beleuchtung massiv verbessert, könnte sich als trügerisch erweisen. Amerikanische Forscher der Sandia National Laboratories gehen nicht davon aus, dass LED-Lichter(-ketten) künftig Kraftwerke überflüssig machen werden. Sie erwarten eher, dass der breite Einsatz von Leuchtdioden den Energieverbrauch für Beleuchtung so stark ansteigen lässt, dass alle Vorteile des Wirkungsgrades wettgemacht werden. Das wird der Fall sein, solange der Strompreis nicht steigt, warnen die Experten im "Journal of Physics D: Applied Physics".

Seit Jahrhunderten explodiert der Lichtkonsum 

Die Forscher berufen sich auf die Geschichte. Im Jahr 1700 konsumierte jeder Engländer 580 Lumenstunden pro Jahr, wobei eine Lumenstunde etwa dem Licht einer Kerze in einer Stunde entspricht. Heute liegt der Jahresverbrauch bei 46 Millionen Lumenstunden pro Person.

"Jede effizientere und somit billigere Beleuchtung hat in der Vergangenheit den Energieverbrauch für Licht steigen lassen. Sehr wahrscheinlich wird das auch in Zukunft so bleiben", so Studienleiter Jeff Tsao. Heller geht's dabei noch immer. Beleuchtete Innenräume erreichen heute erst ein Zehntel der Helligkeit eines bewölkten Tages. Und trotz Lichtverschmutzung liegen viele Außenbereiche noch im Dunkeln. Nur die Energiepreise verhinderten bislang eine noch intensivere weiträumige Beleuchtung.

Doch die (stille) Nacht droht noch viel heller zu werden. Laut Forschern betragen die Ausgaben für Beleuchtung länderübergreifend 0,72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. "Lichtverbrauch, Beleuchtungskosten und Wohlstand eines Landes sind eng miteinander verknüpft", sagt Tsao. Wie leuchtend Außerirdische oder auch die ISS-Besatzung unsere Erde künftig nächtens sehen, hängt vor allem von den Entwicklungs- und Schwellenländern ab. Für das Christkind eine fatale Entwicklung: Die Sterndeuter könnten am lichtverschmutzten Himmel schlicht den Stern von Bethlehem übersehen.


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4 Kommentare verfügbar

  • Herbert Haffner
    am 27.12.2014
    Antworten
    Die Zeit ist reif!
    Die Zeit ist reif, unseren religiös-psychologischen
    Blindflug der vergangenen Jahrhunderte
    zu beenden und die Dinge mit einem befreiten
    Verstand zu betrachten!
    Verfasser unbekannt
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